02/09/2024 0 Kommentare
„Renaturierung der Seele auf Rügen“
„Renaturierung der Seele auf Rügen“
# Tourismuspastoral

„Renaturierung der Seele auf Rügen“
Harald Hansen kennt Rügen wie seine Westentasche. Er steuert den gelben „Boni Bus“ an diesem Dienstag im Juli über das uralte Kopfsteinpflaster der romantischen Deutschen Alleenstraße, durch die steilen Gassen von Bergen und am Ende mit Schwung den Berg hoch auf die Steilküste Sellin. Auf dieser Tour erfahre ich nebenbei nicht nur, dass das Schilf auf Reetdächern ein super Dämmstoff ist. Vor allem lerne ich viel über mehrere – meist katholische – Kirchen auf der Insel und damit auch einiges über die Geschichte Rügens.

Es ist mein erster richtiger Ferienaufenthalt in dem deutschen Urlauberparadies, obwohl ich an der Ostsee groß geworden bin. Wenn es mich zurück ans Meer zieht, besuche ich meine alte Heimatstadt Wismar. Deshalb staune ich, wie vielfältig und auch anders die Insel Rügen ist. Das fängt bei der Tourismuspastoral an. Hansen erzählt, dass er als Ehrenamtlicher die offenen Kirchen in Stralsund und auf Rügen unterstützt. „Auf bequeme Art möchten wir unseren Gästen unter anderem einen Eindruck von der schönen Landschaft der Insel zeigen, aber auch alte und neue Kirchen. Unsere Fahrgäste, die auf der Insel Urlaub machen, sollen sich dabei auch miteinander austauschen“, sagt er. Für einen Norddeutschen, mit dem schönen langgezogenen Dialekt, redet er ziemlich viel. Sein Credo: „Wir kommen ins Gespräch. Dann gehen die Leute mit einem guten Gefühl nach Hause.“ Deshalb sollen in katholischen Kirchen Menschen vor Ort als Ansprechpartner für die Touristen sein, erklärt er.
Inseltour wird individuell gestaltet
Die Landschaft fasziniert mich: Neben den bekannten Kreidefelsen gibt es auf Rügen viel mehr Berge als ich erwartet habe, und den wunderschönen Buchenwald. Das kenne ich aus Nordwestmecklenburg nicht.
Harald Hansen hat selbst eine Zeit lang in Binz gewohnt, wo die Tour startet. Eine Mitfahrerin, die hier eine „selbstgestaltete Einkehrzeit“ hält, ist schon in Stralsund in den Boni-Bus hingestiegen. Begeistert erzählt sie: „Ich genieße diese üppigen Angebote der Tourismusseelsorge, wie die Inseltour oder das Pilgern.“ Sie lacht viel, während der Bus durch die engen Straßen fährt. In einer der Kirchen singt sie. „Ich stelle mich auch auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Menschen bei der Tour ein“, sagt Hansen und erzählt von den älteren Damen, weil sie sich die schöne Landschaft an manchen Orten bequem aus dem Bus anschauen wollten.
Anfangspunkt der Tour ist der neueste Kirchenbau im Erzbistum Berlin. Die runde Stella-Maris-Kirche in Binz mit den durchlaufenden Fenstern, durch die das Blätterdach der Bäume zu sehen ist, ist modern und trotzdem andächtig. Berührt bin ich von den zeitgemäßen Bildern, unter anderem dem Kreuzweg von Sylvia Vandermeer. Der leuchtende Hintergrund aus Blattgold lässt die Szenen umso eindringlicher erscheinen.

Hansen, der nicht nur die Landschaft, sondern auch viele Katholiken von hier kennt, erzählt über die Diskussion in der Gemeinde, ob das neueste Bild hängenbleiben darf. Es ist eine Darstellung des letzten Abendmahls: Ein moderner Männerclub sitzt da um Jesus vor dem Hintergrund einer Hochhaus- Skyline. Das Bild zieht mich ins Jetzt, lässt mich überlegen, wer heute Jesu Jünger sind, wie sie aussehen würden und ob es wirklich so ein reiner „Boysclub“ wäre.
Hansen springt mehr als 100 Jahre zurück in die Geschichte Rügens. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen viele polnische Erntehelfer, die Schnitter, auf die Insel. Maximilian Kaller (1880-1947) war damals Pfarrer auf Rügen und nahm sich ihrer an, einheimische Katholiken gab es nur wenige.
Durch schöne Alleen geht es nun in das Städtchen Garz. 1911, als die Herz-Jesu-Kirche hier von Pfarrer Kaller geplant wurde, zählte Garz zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Zentren der Insel. „Es gab noch kein Fernsehen, aber viele Kinder“, erklärt Hansen. Sonntags war die Kirche voll, mit 500 Gottesdienstbesuchern rechnete Kaller beim Bau. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen dann vor allem Schlesier und Sudetendeutsche als Vertriebene in den Südwesten Rügens, die Gemeinde wuchs auf 1000 Menschen. Vor kurzem ist die Kirche umfangreich saniert worden, sie erstrahlt schlicht, aber schön. Doch die Zahl der Gläubigen ist wesentlich kleiner. Herz Jesu wird nun auch als Begräbniskirche genutzt, als Ort der Trauer und der Totenruhe.
Nordischer Backstein mit buntem Ornament
Der Boni-Bus fährt weiter, diesmal zu einem evangelischen Gotteshaus – der Marienkirche in Bergen. Am höchsten Punkt der Stadt thront dieser Backsteinbau, der im Jahr 1180 nach der Christianisierung Rügens von den Dänen errichtet wurde.

Zunächst Palastkirche des slawischen Fürsten Jaromar, Klosterkirche für Benediktinerinnen und später Zisterzienserinnen, wurde sie 1380 Pfarrkirche. Äußerlich reiht sie sich ein in die Backsteinkirchen im Ostseeraum. Was mich überrascht und meinen Blick lange nach oben leitet, ist die prunkvolle Innenbemalung – die ist einzigartig in Norddeutschland. Am Ende der Tour fahren wir wieder auf einen Berg, sandig ist der Weg zwischen den Buchen. Als ich aussteige, bin ich überwältigt vom Geruch, einer Mischung aus Wald und Meer. Versteckt hinter Dünen an der Steilküste von Sellin steht die kleine Wallfahrtskirche Maria Meeresstern. Nachdem Sellin vom kleinen Fischerdorf zum vornehmen Badeort avancierte, wurde sie 1912 eingeweiht. Sie wurde vor allem für die katholischen Gäste aus Süddeutschland gebaut.
„Hier bin ich eine andere“ Heute ziert ein Strandkorb den Eingang und lockt Touristen an. Karin und Michael Bretzinger sitzen darin und bieten uns eine Erfrischung an. Im Gegenzug, dass das Ehepaar die Kirche sechs Stunden betreut, dürfen sie kostenlos in der Selliner Villa Anna wohnen – „Urlaub mal anders“, heißt das Programm. Karin Bretzinger hat ihre Geige dabei. „Wenn ich in der Kirche spiele, lädt das Menschen ein, hereinzukommen“, erzählt sie und fügt hinzu: „Wenn ich hier im Wald an der Küste spazieren gehe, bin ich eine andere.“ Ein Radfahrer hält an, der Radweg führt direkt an der Kirche vorbei. Auch dieser katholische Urlauber ist fasziniert von der Ruhe hier. Harald Hansen drückt es passend aus: „Ein Spaziergang hier wirkt wie eine Renaturierung der Seele.“ Die kleine Kirche im Wald ist für mich der Höhepunkt dieser Tour. Im Gewitterregen geht es zurück zum Ausgangspunkt, begleitet von persönlichen Gesprächen. Ein gelungener Start in meinen Urlaub ist das auf jeden Fall.
Die nächsten Touren finden am 17. September und 15. Oktober statt. Eine Anmeldung ist über harald.hansen@erzbistumberlin.de oder 01 71 / 2 12 97 74 möglich.
Text und Fotos von Ruth Weinhold-Heße, Mit freundlicher Genehmigung der Kirchenzeitung Tag des Herrn. https://aussicht.online/tag-des-herrn, Alle Rechte vorbehalten. © St. Benno-Verlag, Leipzig.
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